Hessischer Bildungsserver / Religionsfreiheit: Gehört das Kreuz in die Schule?

Schmid: Indienstnahme des Christentums

Der Journalist Thomas Schmid ordnet den bayerischen Kreuz-Erlass in einen größeren politischen Zusammenhang ein.

"Denkwürdig war vor allem die Art, wie Söder seine Kreuz-Kampagne einleitete: Er ließ sich fotografieren, wie er höchstpersönlich im Eingangsbereich der bayerischen Staatskanzlei ein Kreuz hochhält. Das sah nicht sehr christlich aus, sondern etwas raubeinig und leicht aggressiv. Söder hielt das Kreuz hoch als stünde er vor Graf Dracula.

Der bayerische Ministerpräsident steht mit dieser Indienstnahme des Christentums für politische und staatliche Zwecke nicht allein. Und er ist darin bei Weitem nicht der Radikalste. Vielerorts in der Welt tritt seit geraumer Zeit dem freundlichen, betont weltoffenen und zuweilen gegenüber anderen Religionen, Kulturen und Wertvorstellungen allzu verständnisinnigen Christentum ein hartes, abgrenzendes und militantes Christentum entgegen. Die Botschaft der Liebe ist nicht mehr unumstritten. (...)

Es wächst ein Christentum heran, das verbal wieder zum Schwert greift. Das von Ökumene wenig und von Toleranz anderen Religionen gegenüber fast gar nichts hält. Das sich dem vierten der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit – „die Fremden aufnehmen“ – vollkommen verweigert. Ein Christentum, das sich als abendländisch in scharfer Abgrenzung von anderen Denominationen begreift. Das Europa gerne zu einer gut bewehrten Christenfestung machen würde. Das ohne eine Spur schlechten Gewissens jedem Fremden und jedem Flüchtling die Tür weisen möchte. Das das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch der Menschenrechte auf universelle Gültigkeit und dem Menschenmöglichen gar nicht kennt und schon gar nicht als schmerzhaft empfindet. Ein Christentum, das ganz unter sich bleiben möchte. Das – wie im PiS-regierten Polen der Fall – um der Bewahrung des christlich-katholisch Reinheitsgebots willen bereit ist, den christlichen Glauben seiner zentralen Botschaft der Liebe zu berauben. Das, um die christliche Botschaft zu retten, dieselbe zerstört."

Thomas Schmid: Rohe Christen. Polen, Ungarn, Russland und die Nächstenliebe. Blog vom

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Denomination: Konfession, Religionsgemeinschaft