Hessischer Bildungsserver / Unterricht

Hans Ulrich Treichel: Der Verlorene (1998)

Roman
176 Seiten
Klasse 10, Oberstufe

Hans-Ulrich Treichels Roman beginnt mit der Beschreibung einer Photographie, die den verlorenen Sohn Arnold auf einer Wolldecke zeigt. Es ist die einzige Erinnerung der Eltern an ihren ersten Sohn, den die Mutter auf der Flucht einer fremden Frau in die Arme gelegt hat, als sie plötzlich von russischen Soldaten aus dem Flüchtlingskonvoi herausgeholt wurden.
Der Erzähler, der kleine Bruder des Verlorenen, erfährt erst langsam den wirklichen Sachverhalt. Zunächst erzählen ihm die Eltern, der ältere Bruder sei auf der Flucht verhungert. Als er aber von der Mutter erfährt, dass der Bruder noch lebt, fürchtet er einen Konkurrenten, der ihm seinen Platz in der Familie streitig machen könnte.
Der kleine Bruder verfolgt das immer neue Scheitern der Eltern auf der Suche nach dem Verlorenen mit einer naiven Schadenfreude, die sich zu einem distanzierten Blick auf die Entwicklung der Familie, auf finanziellen Aufstieg, verdrängte Schuldgefühle und Ängste erweitert. Trotz der zunehmenden Verzweiflung funktionieren die Eltern perfekt als Aufsteiger im Wirtschaftsboom der 1950er-Jahre. Der Vater steigt durch unermüdlichen Fleiß vom Lebensmittelhändler zum Fleischgroßhändler auf, es wird ein eigenes Kühlhaus gebaut, für den Jungen manifestieren sich die Erfolge vor allem durch immer größere Autos. Leider hat der selbständige Vater aber keine Zeit für Urlaubsreisen, und auf sonntäglichen Ausflügen wird es dem Erzähler stets schlecht und er erbricht sich zur Verzweiflung des Vaters ins Auto.
Schließlich stoßen die Eltern auf das Findelkind Nummer 2307 und es gibt gute Argumente, dass dies der verlorene Sohn sei. Doch obwohl die Eltern immer neue Anstrengungen unternehmen nachzuweisen, dass dies der verlorene Sohn sei, scheitern sie an den Behörden und ihren zweifelhaften Anforderungen an die Ähnlichkeit. Als der Vater erregt und übermüdet mit der Familie von einem dieser Untersuchungstermine zurückkehrt und sein Kühlhaus ausgeräumt vorfindet, erleidet er zwei Herzinfarkte, die zum Tode führen.
In der Folge entwickelt sich eine Verbindung zwischen der Mutter und einem lokalen Polizeibeamten, die der Erzähler trotz anfänglicher Sympathie für Mütze und Dienstpistole misstrauisch beobachtet. Der Beamte lässt sich überreden, der Mutter Adresse und Namen des Findelkindes zu nennen, das nun in einer Metzgerei arbeitet. Zusammen mit dem Polizisten fahren Mutter und Sohn dorthin und sehen sich durch das Schaufenster mit dem Verlorenen konfrontiert. Der Erzähler ist über die Ähnlichkeit entsetzt, die Mutter aber wendet sich ab. Man fährt zurück.

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