Kernspaltung
Wann wurde die Kernspaltung entdeckt? Was passiert bei der Kernspaltung? Was ist eine Kettenreaktion?
Wann wurde die Kernspaltung entdeckt?
Am 17.12.1938 bestrahlten der Chemiker Otto Hahn und sein Assistent Fritz Straßmann im damals sehr angesehenen Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin Uran mit langsamen Neutronen. Sie nahmen u. a. an, dass sie auf diese Weise schwerere Elemente als Uran, sogenannte Transurane, herstellen könnten. Otto Hahn und Fritz Straßmann konnten es kaum glauben: Sie wiesen mehrmals das mittelschwere Element Barium als ein Produkt der Bestrahlungsversuche nach. Das konnte nur eins bedeuten: Das schwere Element Uran wurde in mittelschwere Elemente gespalten. Damals hielt man das für fast unmöglich. Otto Hahn fragte in einem Brief sicherheitshalber bei der genialen Physikerin Lise Meitner nach, ob aus physikalischer Sicht eine Kernspaltung von Uran möglich sei. Lise Meitner hatte lange Zeit mit Otto Hahn in Berlin zusammengearbeitet, sie musste aber als Jüdin aus dem nationalsozialistischen Deutschland fliehen und fand mit Otto Hahns Hilfe Asyl in Schweden. Glücklicherweise besuchte Lise Meitners Neffe, der Physiker Otto Frisch, seine Tante in Stockholm während der Weihnachtszeit. Lise Meitner und Otto Frisch konnten die Chemiker Otto Hahn und Fritz Straßmann beruhigen, die Spaltung von Uran ist physikalisch möglich. Otto Hahn bekam für die Entdeckung der Kernspaltung (engl. nuclear fission) 1944 den Nobelpreis verliehen. Gerechter wäre es gewesen, wenn auch Fritz Straßmann, Lise Meitner und Otto Frisch den Nobelpreis bekommen hätten, denn die Entdeckung der Kernspaltung war eine Gemeinschaftsleistung.
Was passiert bei der Kernspaltung?
Zur Spaltung von Atomkernen sind Neutronen besonders gut geeignet, weil sie keine elektrische Ladung haben und von den positiv geladenen Kernen nicht abgestoßen werden. Der Beschuss von Uran mit Neutronen ist aber nicht die einzige Voraussetzung: Die bei Kernreaktionen entstehenden Neutronen sind in der Regel sehr schnell mit einer Geschwindigkeit von ca. 10 000 km/s. Das sind unvorstellbare 36 Millionen km/h. Will man mit diesen sogenannten schnellen Neutronen eine Kernspaltung durchführen, ist es zweckmäßig, sie zu verlangsamen. Je langsamer die Neutronen sind, desto länger halten sie sich im Bereich eines Kerns auf und desto wahrscheinlicher wird eine Kernspaltung. Wie kann man die schnellen Neutronen verlangsamen? Dazu kannst du einen Versuch durchführen: Eine schnelle Kugel 1 trifft zentral auf eine gleichschwere ruhende Kugel 2, nach dem Stoß bleibt Kugel 1 liegen. Trifft Kugel 1 auf eine viel schwerere ruhende Kugel 3, läuft sie fast mit gleicher Geschwindigkeit zurück. Daraus kann man schließen, dass schnelle Neutronen am besten abgebremst werden können, indem sie auf gleichschwere Teilchen (z. B. Wasserstoffkerne=Protonen) stoßen. Man schickt die Neutronen deshalb durch Wasser, denn ein Wassermolekül enthält außer dem Sauerstoffkern zwei Wasserstoffkerne. Durch viele Stöße mit Protonen werden die Neutronen dabei schließlich so langsam wie Gasmoleküle infolge ihrer Teilchenbewegung. Sie haben dann noch eine Geschwindigkeit von ca. 2 km/s (Das sind immerhin noch 7200 km/h.) So erhält man langsame oder thermische Neutronen. Der technische Begriff für die Abbremsung der Neutronen ist Moderation. Das bremsende Medium nennt man Moderator.
Wenn man Uran-235 mit langsamen Neutronen beschießt (siehe obiges Bild), entsteht zunächst für ganz kurze Zeit das instabile Uran-236, das schließlich in zwei mittelschwere sogenannte Trümmerkerne gespalten wird. Zusätzlich entstehen 2-3 Neutronen und Energie wird frei. Bei der Spaltung können verschiedene Trümmerkerne entstehen, z. B. Barium und Krypton, Selen und Cer, Brom und Lanthan, Rubidium und Cäsium oder Strontium und Xenon. Die Massenzahlen der Trümmerkerne liegen häufig im Verhältnis von 2:3. In der folgenden Kernreaktionsgleichung wird die Spaltung des Urans in Barium und Krypton dargestellt:
$\mathrm{^{235}_{\ \ 92}U\ +\ ^{1}_{0}n\ →\ ^{236}_{\ \ 92}U\ →\ ^{144}_{\ \ 56}Ba\ +\ ^{89}_{36}Kr\ +\ 3\ ^{1}_{0}n\ +\ Energie}$
Die Kernspaltungen haben folgende Gemeinsamkeiten:
- Die Trümmerkerne fliegen mit großer Geschwindigkeit von ca. 10 000 km/s auseinander. Dadurch wird in Kernreaktoren das umgebende Wasser erwärmt.
- Es werden zusätzlich 2 bis 3 schnelle Neutronen frei.
- Die Trümmerkerne sind radioaktiv. Sie zerfallen mehrfach unter Aussendung von energiereicher β- und γ-Strahlung mit teilweise hoher Halbwertszeit.
Wie kann man sich die Spaltung veranschaulichen? Durch das eingefangene Neutron wird der kugelförmige Kern zu einer Änderung seiner Form angeregt. Er erreicht dabei kurzzeitig eine hantelförmige Gestalt. Die wenigen Kerne an der engen Einschnürung sind mit ihren Kernkräften kurzer Reichweite nicht mehr in der Lage, die Hantel zusammenzuhalten. Die weitreichende elektrische Abstoßung der Protonen überwiegt und treibt die Trümmerkerne mit hoher Geschwindigkeit auseinander.
Wenn man die Masse der Kernteilchen des Uran-235 und des primären Neutrons mit der Summe der Masse der Trümmerkerne und der sekundären Neutronen vergleicht, so stellt man einen geringen Massenverlust fest. Dieser Verlust entspricht der bei der Kernspaltung frei werdenden Energie. Warum ist das so? Der berühmte Physiker Albert Einstein fand heraus, dass Masse und Energie einander äquivalent sind. Es sind zwei Formen desselben Phänomens. Masse lässt sich in Energie und Energie in Masse umwandeln. Die Formel lautet: $\mathrm{E=m·c^{2}}$ mit $\mathrm{E=Energie}$, $\mathrm{m=Masse}$ und $\mathrm{c=Lichtgeschwindigkeit=3·10^{8}\frac{m}{s}}$. Bei der vollständigen Spaltung von 1 kg Uran-235 tritt ein Massenverlust von 1 g auf. Also wird folgende Energie frei:
$\mathrm{E=m·c^{2}=1·10^{-3}kg·(3·10^{8}\frac{m}{s})^{2}=9·10^{13}J=25\ Millionen\ kWh}$. Das entspricht der vollständigen Verbrennung von unvorstellbaren 3 Millionen kg Kohle.
Was ist eine Kettenreaktion?
Die bei der Spaltung von Uran-235 frei werdenden schnellen Neutronen können nun ihrerseits, wenn sie abgebremst wurden, weitere Urankerne spalten. Geht man davon aus, dass nach jeder Spaltung 3 freie Neutronen zur Verfügung stehen (siehe Bild oben), sind es in den weiteren Schritten 9, 27, 81, 243, 729 ... usw. Wenn genügend Urankerne vorhanden sind, keine Neutronen nach außen verloren gehen oder absorbiert werden, schwillt die Anzahl der Kernspaltungen von Neutronengeneration zu Neutronengeneration lawinenartig an. Eine Kettenreaktion läuft ab.
Um den Ablauf einer Kettenreaktion zahlenmäßig zu erfassen, benutzt man den Multiplikationsfaktor k:
$\mathrm{k=\frac{Zahl\ der\ Spaltungen\ einer\ Neutronengeneration}{Zahl\ der\ Spaltungen\ der\ vorhergehenden\ Neutronengeneration}}$
Der Multiplikationsfaktor bestimmt den Ablauf der Kettenreaktion. Dabei muss man drei Fälle unterscheiden:
- Der Multiplikationsfaktor ist größer als 1: In diesem Fall nimmt die Neutronenzahl von Generation zu Generation zu. Da die Lebensdauer eines Neutrons, d. h. die Zeit zwischen seiner Entstehung und der von ihm bewirkten Spaltung, sehr kurz ist, folgen die Spaltungsreaktionen sehr rasch aufeinander und die Zahl der Neutronen wächst sehr rasch, auch wenn der Multiplikationsfaktor nur wenig über 1 liegt. So kann in Bruchteilen einer Sekunde fast die gesamte zur Verfügung stehende Uranmenge unter Abgabe sehr großer Energiemengen gespalten werden. Dieser Fall liegt bei der Atombombe vor.
- Der Multiplikationsfaktor ist gleich 1: Die Neutronenzahl bleibt konstant, d.h. von den bei jeder vollzogenen Spaltung entstehenden Neutronen führt ein Neutron wieder zur Spaltung, während die übrige Neutronenproduktion weggefangen wird. Eine solche gesteuerte Kettenreaktion befindet sich im Gleichgewicht. Dieser Fall ist der stationäre Betrieb eines KKWs.
- Der Multiplikationsfaktor ist kleiner als 1: Die Neutronenzahl nimmt von Generation zu Generation ab. Damit wird auch die Zahl der Kernspaltungen geringer. Die Kettenreaktion erlischt.
Beim Einschalten eines Kernreaktors muss die Kettenreaktion zunächst bis zu der gewünschten Leistung gesteigert werden, k ist dann größer 1. Dann muss sie stationär weiterlaufen, k ist jetzt 1. Wenn der Reaktor abgeschaltet werden soll, muss man die entstehenden Neutronen soweit wegfangen, dass die Zahl der Spaltungen von Generation zu Generation kleiner wird, k ist in diesem Abschaltfall kleiner 1.
Wie kann man Neutronen wegfangen? Dies geschieht in den Regelstäben (auch Steuerstäbe genannt), die zwischen die Brennelemente geschoben werden können. Die Regelstäbe enthalten Bor oder Cadmium. Diese Elemente sind besonders gute Neutronenfänger, auch Neutronenabsorber genannt. Man kann auch dem Wasser Borsäure hinzufügen, um vermehrt Neutronen wegzufangen.