Hessischer Bildungsserver / Kriegstagebücher (Webquest)

Auszüge aus dem Kriegstagebuch von Louis Barthas

Oui, la guerre est moralisatrice (…)

„Ja, der Krieg ist moralisierend. Er inspiriert noble Gefühle und eine ideale Persönlichkeit mit Moral. Das sind Leute, Menschen, die sich trauten über den Krieg zu schreiben und über dieses Monstrum des Krieges.“

Vers le carnier de Lorette (04. Mai – 2. Juni 1915)



„Während der Nacht vom 23 auf den 24.12 kamen 10 unpatriotische Deutsche zu uns, um sich zu ergeben. In der 17. Kompanie war das ein großes Ereignis, da sie die ersten Gefangenen waren, die durch dieses Regiment gefangen wurden. (S. 51)
Die folgende Nacht war die Heilige Nacht. Bald saßen wir in unseren Löchern in den Schützengräben und genossen den Gedanken vielleicht schlafen zu können, als um 9 Uhr eine harsche Stimme uns rausbefahl und sofort aus unseren Stellungen zu kommen.“

„In der Tat, etwas Ungewöhnliches ging dort draußen an der Frontlinie vor. Man hörte Lieder, heilige Weihnachtslieder und mehrere Leuchtfeuer aus Leuchtgranaten waren auf beiden Seiten entzündet, doch kein Schuss wurde abgegeben.
Zwei Stunden später und der Alarm war immer noch nicht ausgelöst. Wir hatten keine Erklärung für das was am nächsten Tag geschah.
Unser Kapitän Leon Hudelle schrieb diesen ungewöhnlichen Tag in seinem Tagebuch auf. Am Weihnachtstag, ohne Respekt für die Heiligkeit des Tages ließen sie uns unsere Löcher ausbessern (…)“


2.1.1915

Wie der Januar uns leiden ließ, bin ich nicht im Stande zu beschreiben. Ich habe nicht gedacht, dass der menschliche Körper solchen Umständen überhaupt trotzen könnte. Jeden Morgen war es bitterkalt, weißer Frost formte Eiskristalle an unseren Bärten und Schnurbärten und gefror unsere Füße. Während am Tag oder in der Nacht wurde es ein wenig wärmer, doch es begann zu regnen.
Mal im Dauerregen und wir waren auf die Knochen durchnässt und flutartige Wasserströme durchzogen unsere Schützengräben. Es war genug, um sich zu wünschen, man wäre ein Frosch.
Zu kämpfen, ohne Schlaf, müde, in der Kälte, mit Hunger, die Männer tranken zu viel Alkohol (…)



Loretto Höhe
2 Juni – 2. Juli 1915

(…) Während des Tages traf eine Granate den benachbarten Bunker neben uns und verwundete fünf Soldaten, einen tödlich. (…)

Meine Erinnerung an diesen Tag ist ungenau und ich habe nur manche vagen Bilder im Kopf. Zuerst, ein toter französischer Soldat, ein paar Meter von uns entfernt. Er liegt auf seinem Rücken, er sieht aus, als ob er schlafen würde. Dieser Anblick störte uns und auch wenn es gefährlich war, Allard stieg aus dem Schützengraben raus und warf eine Decker über die Leiche.
Einen Moment später eine große Explosion, rechts neben uns, weckte uns aus unserer Erstarrung und Betäubung und brachte eine Leiche zum Vorschein und riss sie in tausend Stücke (…)

(…) Die Bombardierung ging weiter, unaufhörlich und so heftig den ganzen Tag. Wir waren verwirrt und geblendet von den Lichtblitzen der Geschosse und Granaten.

Ein gutes hundert Mal schleuderten die Erschütterungen der Granaten uns zu Boden und Explosionen explodierten um uns herum.

Tagesanbruch. Die Sonne geht auf, unpassend auf dem Feld des Horrors. Überall nichts als tote Körper, Kadaver und abgerissene Menschenteile, die von Ratten angefressen werden, die mehr Mut hatten als wir den Schützengraben zu verlassen. (…)

(…) Wir sollten bald angreifen (…) allgemein machten wir uns nicht viele Gedanken, was bei dem Angriff uns erwartete (…)
Oh, diese verstörten Augen meiner Kameraden, diese schrecklich zu Grimassen geschnittenen Gesichter, welche jeden menschlichen Ausdruck verloren haben. Welche schrecklichen Szenen haben diese Augen gesehen, so dass ihr Träger fast verrückt wurde?



In diesem furchtsamen Albtraum zu leben – ist es dass, was uns alle erwarten wird?

(…) Nach der Schlacht sah ich, es schockierte mich und faszinierte mich (im deutschen Schützengraben) ein Haufen toter Körper, alles Deutsche.

An einem Gebüsch angelehnt, ein junger Deutscher, er sah aus, als würde er schlafen. Er war nicht sichtlich verwundet. Der Tod hat ihn mit einem Flügel getroffen und wahrte das Lächeln in seinem jungen Gesicht.

Wir nennen das hier den ‚Graben der Toten‘. Alles Franzosen – die Überreste einer früheren Schlacht. Anständig begraben können wir sie bei den ständigen Angriffen und dem Regen nicht. Also müssen wir wenigstens dafür sorgen, dass dieser Abschnitt nicht von den Deutschen erobert wird.“

Was um Himmelswillen ist das? Öffnet sich die Hölle unter unseren Füßen? Sind wir am Rand eines feuerspeienden Vulkans? Der Schützengraben füllt sich mit Flammen, Funken, beißendem Rauch. Atmen ist unmöglich. Die Deutschen beschießen uns mit flüssigem Feuer.

Ich riss beide Arme vor mein Gesicht, um die Augen zu schützen und all meine Vernunft verließ mich. Meine Augen konnten nichts mehr sehen, ich stammelte nur. Auf dem Boden lag stöhnend eine arme Seele. So entstellt, dass es unmöglich war festzustellen, um wen es sich handelte. Seine Haut war vollständig schwarz. Er sang im Delirium Lieder aus seiner Kindheit, redete mit seiner Frau, seiner Mutter, sprach über sein Dorf. Überwältigt von Müdigkeit und Erschöpfung kauerte ich mich auf den Boden. Der Sterbende lag mir gegenüber. Einen Soldaten in Agonie vor Augen schlief ich ein.

Eine mondlose Nacht hat sich über den Schützengraben gelegt, in dem Louis Barthas neben dem Schwerverletzten kauert. Als der Morgen graut, schreckt er aus seiner Erschöpfung hoch, ein Kamerad verteilt Kaffee. Was war das? Wir hatten erwartet, dass der Verbrannte jeden Moment sterben würde. Wir wollten ihn über den Graben nach draußen werfen und nun verlangte er plötzlich seinen Kaffee! Er trank dreiviertel meines Bechers, mit einem ekelhaften Schlürfen – aber es schien ihm tatsächlich zu bekommen. Sanitäter haben ihn später geholt, was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht.



                          

07.06.1915

(…) Wir sahen aus wie Geister, abgemüht, Haut bleich, kraftlos, mehrere Nächte ohne Schlaf, schlechtes Essen, Strapazen. Ja, wir sahen aus wie Geister, die aus ihren Gräben auferstanden sind. Sicher, die Feldküche versuchte uns möglichst mit Essen zu versorgen. Aber es ist schwer zu essen, wenn die Luft erfüllt ist vom Verwesungsgestank der verwesenden hunderten Körper, die uns umgeben unter der heißen Juni- Sonne. (…)


Oft denke ich an die große Zahl meiner Kameraden, die an meiner Seite gefallen sind. Ich habe gehört, wie sie den Krieg und jene, die ihn angezettelt haben, verfluchten. Ich, als Überlebender, glaube, dass mich ihr Wille inspiriert hat, rast- und gnadenlos bis zu meinem letzten Atemzug für die Idee des Friedens und der Brüderlichkeit unter den Menschen zu kämpfen.“ (1920)