Lernpfad: Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen

1 Einführung

Die Themen des Lernpfades im ÜberblickMuschelbild

  1. Einführung
  2. Fakten: Formen der Genitalverstümmelung
  3. Weibliche Genitalverstümmelung
  4. Gesundheitsschäden
  5. Genitalverstümmelung weltweit
  6. Kultur
  7. Religion
  8. Rechtslage
  9. Beschneidung bei Jungen

Du kannst hier verschiedene Aspekte des Themas in diesem Lernpfad kennenlernen und im eigenen Tempo online selbstständig arbeiten. Dauer dieser Lerneinheit: etwa 2 Stunden, wenn Du alle Texte liest und einige Aufgaben bearbeitest, die Dich besonders interessieren.

2 Fakten: Formen der Genitalverstümmelung

Definition:

 „Weibliche Genitalverstümmelung umfasst alle Praktiken, die eine teilweise oder totale Entfernung der äußeren weiblichen Genitalien zur Folge haben, oder andere Verletzungen der weiblichen Genitalorgane ohne medizinische Gründe.“ (Gemeinsame Feststellung von WHO/UNICEF/UNFPA 1997)

Formen der Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die unterschiedlichen Formen von weiblicher Genitalverstümmelung in vier Typen eingeteilt. Dies ermöglicht eine einheitliche Terminologie. Die eindeutige Zuordnung zu einem einzigen Typ ist jedoch nicht immer möglich.

Typ I:

Teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris und/oder Klitorisvorhaut (Klitoridektomie)

Typ II:

Teilweise  oder vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen Schamlippen, mit oder ohne Entfernung der großen Schamlippe (Exzision)

Typ III:

 

Verengung der vaginalen Öffnung mit Herstellung eines bedeckenden, narbigen Hautverschlusses durch das Entfernen und Zusammenheften oder -nähen der kleinen  und/oder großen Schamlippen, mit oder ohne Entfernen der Klitoris (Infibulation)

Typ IV:

Alle anderen Eingriffe, die die weiblichen Genitalien verletzen und keinem medizinischen Zwecke dienen, z.B.: Einstechen, Durchbohren, Einschneiden, Ausschaben und Ausbrennen oder Verätzen

 

Diese Illustration zeigt die normale Anatomie und zum Vergleich Typ I bis III der Genitalverstümmelung.

 

3 Die weibliche Genitalverstümmelung

Im allgemeinen werden die Mädchen zwischen dem vierten und zwölften Lebensjahr beschnitten, zunehmend jedoch auch im Säuglingsalter, manchmal auch im Erwachsenenalter.

Weibliche Genitalverstümmelungen finden traditionellerweise außerhalb von Arztpraxen und Krankenhäusern unter katastrophalen hygienischen Bedingungen statt. Der Eingriff wird ohne Narkose durchgeführt. Mehrere Frauen halten das Mädchen während der Genitalverstümmelung mit Gewalt fest. Die Instrumente reichen von Rasierklingen über Messer, stumpfe Scheren, Glasscherben bis zu Deckeln von Konservendosen.

Um die Wunde zu schließen, werden Akaziendornen, Bindfaden, Schafdarm, Pferdehaar, Bast oder Eisenringe verwendet. Substanzen wie Asche, Kräuter, kaltes Wasser, Pflanzensäfte, Blätter und Wundpressen aus Zuckerrohr sollen die bei der Entfernung der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane meist stark auftretende Blutung stoppen. Eine Infibulationswunde (Infibulation ist die extremste Form der weiblichen Genitalverstümmelung) benötigt mehrere Wochen zum Verheilen. Dies setzt voraus, dass sich die Betroffene nicht zu stark bewegt, damit das entstehende Narbengewebe nicht erneut aufreißt.

Ausgeführt werden die Genitalverstümmelungen meist von älteren Frauen. Je nach Ethnie ( im Deutschen wird für ethnische Gruppe auch oft der Begriff „Volksgruppe“ gebraucht)
üben professionelle Beschneiderinnen, Geburtshelferinnen oder ältere Frauen des Dorfes diese traditionellerweise hochangesehene Tätigkeit aus.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verurteilt, dass immer öfter Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern  oder Hebammen Genitalverstümmelungen vornehmen. Es gibt keinerlei medizinische Gründe dafür. 

4 Gesundheitliche Schäden

Kurzfristige Folgen sind starke Schmerzen, Schockzustand, Eiterungen im Genitalbereich und Verletzungen des umliegenden Gewebes. Blutsturz und Infektionen können tödlich sein.

Längerfristige Folgen sind Zysten, Narbenwucherung, extrem schmerzhafter Geschlechtsverkehr, höhere Anfälligkeit für sexuell übertragbare Krankheiten, Harnwegsinfektionen, Unfruchtbarkeit und schwere Komplikationen bei Geburten.

 

 

5 Genitalverstümmelung weltweit

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit rund 140 Millionen Mädchen und Frauen an ihren Genitalien verstümmelt. Jahr für Jahr werden ungefähr 2 Millionen Mädchen beschnitten.

Alter der Mädchen
Die meisten Mädchen sind zwischen 4 und 14 Jahren alt, wenn sie beschnitten werden. Es kommt zunehmend häufiger vor, dass die Beschneidung bereits im Säuglingsalter durchgeführt wird. Dies ist abhängig von der jeweiligen Ethnie. Es gibt Ethnien, bei denen Frauen erst vor der Heirat oder nach der Geburt ihres ersten Kindes beschnitten werden. Dies passiert oft dann, wenn eine unbeschnittene Frau einen Mann aus einer Ethnie heiratet, bei der die weibliche Genitalbeschneidung praktiziert wird.

Die Tendenz geht aber dahin, die Mädchen möglichst früh zu beschneiden. Der Grund dafür ist, dass die weibliche Genitalbeschneidung inzwischen in vielen Ländern verboten ist und sich jüngere Mädchen weniger dagegen wehren können.

Betroffene Länder

Die weibliche Genitalverstümmelung kommt traditionellerweise vor in 28 Ländern Afrikas, im Süden der Arabischen Halbinsel, in den kurdischen Gebieten Iraks und des Iran und in einigen andern Ländern Asiens (wie in Teilen Indiens, Indonesiens, Malaysias oder Sri Lankas). Auf dem afrikanischen Kontinent ist die Praktik der Genitalverstümmelung am häufigsten verbreitet.



6. Kultur

Die Beschneidung von Mädchen ist traditionellerweise ein Bestandteil von Initiationsriten, also Riten zum Übergang vom Kindsein zum Erwachsenwerden. Damit ist die Aufnahme in die jeweilige Volksgruppe verbunden. Die Beschneidung gilt als Zeichen der zukünftigen Rolle als Ehefrau und Mutter. Sie kann Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen und religiösen Leben - etwa dem Besuch einer Gebetsstätte - und für die Heiratsfähigkeit sein.

"Mädchen müssen beschnitten werden, damit ein Mann sie heiratet. Nur durch eine Ehe kann die Frau ihre Existenz sichern. Somit beugt sie sich dem sozialen Druck. Die Beschneidung soll garantieren, dass die Frau vor der Ehe Jungfrau und in der Ehe treu bleibt." sagt Anja Stuckert von Plan International.

7 Religion

Initiationsriten markieren noch in vielen Gesellschaften den Übergang ins Erwachsenenalter. Sie vermitteln traditionelle Erziehung und bereiten die Mädchen auf ihr zukünftiges Leben als Frau vor. Die Feiern sind oft Anlass für tagelange Feste der gesamten Gemeinde, obwohl die Beschneidung für Mädchen und Frauen eine dauerhafte Verstümmelung und Behinderung bedeutet und im Christentum und im Islam nicht verlangt wird.

Zu den Religionsgruppen, die die Beschneidung weiblicher Genitalien praktizieren, zählen in erster Linie Muslime, aber auch Christen verschiedener Glaubensrichtungen, eine Minderheit äthiopischer Juden und Anhänger traditioneller Religionen. Die Praktik hängt in erster Linie mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Volksgruppen zusammen.

Die Wurzeln der Praktik reichen in die vorislamische und vorchristliche Zeit zurück. In muslimisch geprägten Ländern, in denen weibliche Genitalverstümmelung vorkommt, gibt es unter religiösen Autoritäten eine Vielfalt rechtlicher Auslegungen hinsichtlich dieser Praktik und daher oft keine einheitliche Haltung. In diesen Ländern wird die weibliche Genitalverstümmelung häufig damit gerechtfertigt, dass der Koran die Tradition vorschreibe. Es gibt, trotz gegenteiliger Behauptungen, keine Textstelle des Koran, die diese Praxis verlangt.
2006 hat die Al-Azhar-Universität in Kairo, eine der angesehendsten Universitäten im Islam, eine religiöse Stellungnahme, eine sogenannte Fatwa, erlassen.
Die Fatwa von Kairo gegen die genitale Verstümmelung, 2006 verurteilt Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen als Praktik, die ohne Grundlage im Koran ausgeführt wird und die Frauen körperlichen und seelischen Schaden zufügt. Sie ruft alle Musliminnen und Muslime, Vertreterinnen und Vertreter von Bildungseinrichtungen, nationale Gesetzgebungseinrichtungen, internationale und regionale Institutionen sowie Medien auf, alles zu tun, um sie zu überwinden.

In der Bibel wird die weibliche Genitalverstümmelung nicht erwähnt.

 

 

8 Recht

Die weibliche Genitalverstümmelung wird international als Menschenrechtsverletzung anerkannt. Sie verletzt Gesundheits-, Frauen- und Kinderrechte, der Brauch wird als grausam, als unmenschlich und entwürdigend bezeichnet. In zahlreichen internationalen Abkommen wird diese Einordnung übernommen.

Gesetze sind wichtig, um Betroffene zu schützen. Bei konsequenter Umsetzung kann die Strafverfolgung bei Beschneider/innen und Eltern abschreckende Wirkung zeigen. Dass die Verstümmelung in etlichen Ländern bereits - zum Teil seit Jahrzehnten - verboten ist, ändert aber nichts daran, dass sie immer noch ausgeübt wird. Die staatlichen Organe sorgen nur in wenigen Ländern und Fällen für die Einhaltung der Gesetze. Auch fehlt es an Unterstützung in der Bevölkerung. In vielen Hauptverbreitungsgebieten haben große Teile der Bevölkerung keinen Bezug zu einem modernen (nationalen) Rechtssystem. Nationale Gesetze sind auf lokaler Ebene oft unbekannt, die Haltungen traditioneller Autoritäten sind für die Bevölkerung von weit größerer Bedeutung. Die Menschen identifizieren sich nicht mit der nationalen Gesetzgebung und fühlen sich somit auch nicht verpflichtet, sich danach zu richten.

In diesen afrikanischen Ländern gibt es nationale Gesetze, die weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe stellen: Ägypten, Äthiopien, Benin, Burkina Faso (seit 1997), Elfenbeinküste (seit 1998), Dschibuti (seit 1995), Eritrea, Ghana, Guinea (seit 1969), Kenia, Mauretanien, Niger, Nigeria (in mehreren Bundesstaaten), Senegal, Tansania, Togo, Uganda, Zentralafrikanische Republik

Rechtslage in Deutschland
Die genitale Beschneidung von Mädchen und Frauen ist nach den §§ 226a des Strafgesetzbuches (StGB) verboten. Das deutsche Strafrecht gilt grundsätzlich nur für im Inland begangene Taten, aber seit 2015 sind im Ausland begangene Taten unabhängig vom Recht des Tatorts strafbar, wenn der Täter zur Tatzeit Deutscher ist oder das Opfer zur Tatzeit seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Alle hier lebenden Mädchen sollen so (theoretisch) vor dem Risiko geschützt werden, im Ausland Opfer einer Genitalverstümmelung zu werden, beispielsweise bei einem Ferienaufenthalt im Herkunftsland.

Dazu noch eine Information:
In Deutschland leben 2018 nach Berechnungen von TERRE DES FEMMES e.V. circa 65.000 Frauen und Mädchen, die von Genitalverstümmelung betroffen sind, was einem Anstieg von 12% gegenüber 2017 entspricht. Zusätzlich sind mindestens 15.500 Mädchen in der BRD gefährdet. Die aktuellen Statistiken zu Deutschland und Informationen zu Urteilen... findet ihr hier.

Nach Angaben des EU-Parlaments waren 2012 circa 180.000 Mädchen und Frauen in Europa dem Risiko ausgesetzt, in einem Land der EU oder im Herkunftsland ihrer Eltern verstümmelt zu werden. Seither ist diese Zahl gestiegen.

9 Beschneidung bei Jungen

Der Begriff „Beschneidung“ erweckt den Eindruck, es würde sich bei der weiblichen Genitalverstümmelung um das Pendant zur Beschneidung der männlichen Vorhaut handeln.
Dies ist medizinisch falsch. Weibliche Genitalverstümmelung stellt im Vergleich zur männlichen Beschneidung einen ungleich schwereren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar.  

Hier geht es zum Lernpfad Beschneidung von Jungen.

 

Informationen für Lehrkräfte zu diesem Lernpfad