Von Ulfried Geuter
Ameisen krabbeln auf der Haut, die linke Gesichtshälfte ist verrutscht, im Radio sind verschlüsselte Botschaften zu hören und im Zimmer des Therapeuten sind Wanzen versteckt, auch wenn die anderen Menschen das nicht sehen, hören oder wissen. Im Wahn ver-rückt die Realität. Der Wahnkranke hält für real, was für andere nicht existiert, und was andere für real halten, geht ihm verloren: die alltägliche Realität. Wahn kann als eigenes Krankheitsbild auftauchen und Wahn ist eines der Kernsymptome der Schizophrenie. Bei aller Variation psychischer Krankheiten über die Zeit und die Kulturen hinweg, eine Zahl ist stabil: dass die Chance, einmal im Leben an Schizophrenie zu erkranken, ein Prozent beträgt. Aber jede Zeit definiert den Wahn neu Nikolaus von der Flüe hatte Wahnvorstellungen und wurde damit im 15. Jahrhundert zum Heiligen. Im 20. Jahrhundert hätte er als Kranker gegolten. In der heutigen Spaßgesellschaft des unverbindlichen Identitätswechsels ist das Spiel mit dem Unsinnigen kokett geworden. Vielleicht wird daher auch für den Wahn eine neue Zeit anbrechen.
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